Ein Orchestrion steht immer noch an seinem ursprünglichen Ort.

Die Verhältnisse an den Schweizer Bahnhöfen und nicht nur in der Schweiz, haben sich in den letzten Jahren stark geändert, hauptsächlich was die Gastronomie betrifft. Viele der stattlichen Bahnhofbuffets in denen man sich bis spät abends verpflegen konnte oder gemütlich ein Getränk genoss, sind verschwunden. An ihrer Stelle wurde ein Starbucks Caffee, ein Bretzelkönig, ein Avec Shop oder sonst eine „Foodkette“ eingerichtet. An einigen Orten muss man sich sogar nur noch mit einem Kiosk begnügen. Gibt es einen Avec Shop, kann man wenigstens noch an der Wärme bei einem Stehtischchen oder mit etwas Glück auch sitzenderweise ein Büchsenbier mit einem Sandwich und Blick zur Warteschlange an der Kasse „geniessen“. Fairerweise muss man erwähnen, dass sich die Wartezeiten gegenüber früher reduziert haben und man dadurch auch weniger auf ein Bahnhofbuffet angewiesen ist.
Haltestelle
Haltestelle La Combe

Fährt man mit der gemütlichen Schmalspurbahn von La Chaux de Fonds via Saignelégier, nach Glovelier durch den schönen Jura, lässt sich die Bilder von Dörfer, Wald und Wiesen vorbeiziehen und vernimmt zwischendurch die deutliche Ansage aus dem Lautsprecher, welche jede Haltestelle ankündigt so wird einem klar, es gibt noch Landschaften in der Schweiz, die noch nicht von der Bauwut erreicht wurden. Plötzlich werden wir aufmerksam. „Prochain arrêt sur demande, La Combe“ tönt es aus dem Lautsprecher. Hier möchten wir aussteigen und drücken die Taste. Der Zug hält, niemand steigt aus, man sieht auch nichts ausser weisse Wiesen und Wald. Aha, denkt man, wahrscheinlich kann der Zug nicht einfahren. Aber der Türbetätigungsknopf leuchtet ja. Man drückt darauf, die Türe öffnet sich, wir steigen aus, der Zug fährt ab und wir stehen neben dem Geleise und sehen eben nur Schnee, Wald, Geleise und einen Prellbock. Doch beim Umdrehen ist tatsächlich weiter vorne ein Haus sichtbar.
Bahnhofbuffet
Bahnhofbuffet La Combe

Wir atmen auf und nehmen Kurs auf dieses Gebäude und schon bald ist gut leserlich angeschrieben: „Buffet de la Gare“. Also eine Haltestelle mit Bahnhofbuffet und sonst kein einziges Haus, da staunt man dass es sowas gibt. Wir treten ein und unser Blick fällt sofort auf ein grosses Walzenorchestrion. Wir werden als einzige Gäste mit einem vorzüglichen Mittagessen verwöhnt und geniessen das Ambiente, welches dem des Orchestrions entspricht. Das war vor 15 Jahren.
Orchestrion
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Letztes Jahr wurde das Restaurant umgebaut und an die heutigen Bedürfnisse angepasst. Das Wirtepaar Herr und Frau François und Vérène Juillerat-Gurtner führen heute das Bahnhofbuffet inklusive dem angebauten Bauernhof. Die Grossmutter von Frau Juillerat, Franziska König, war seinerzeit aus der Nähe von Ulm eingewandert und hat sich hier im Jahre 1927 mit Fritz Gurtner verheiratet. Wie das Orchestrion in den Jura kam ist nicht aufgezeichnet, doch diese Orchestrien waren in Deutschland seinerzeit sehr verbreitet und in diesem ländlichen Gebiet war das damals sicher ein Novum welches die Gäste aus der ganzen Region anzog.
Beim Orchestrion handelt es sich um den Typ Geisha von der im Jahre 1871 gegründeten Firma Dienst in Leipzig-Gohlis. Mit einer Höhe von 2.50 Meter, einer Breite von 1.35 Meter und einer Tiefe von 75 cm, handelt es sich um ein beachtliches Instrument. Die 70 cm lange Walze umfasst 41 Tonstufen, davon 33 Klaviertöne einschliesslich 12 Mandolinentöne, ein fünftöniges Metallophon, Trommel und Cinelle. Das Instrument funktioniert nicht mehr und beim genaueren Hinschauen ist ersichtlich, dass das Instrument rege benutzt wurde, also da war einmal „grande spectacle“.   Durch den Umbau präsentiert sich die Gaststube heute heller und natürlich moderner. Leider musste das Instrument weichen und steht jetzt im Gang, neben der WC-Türe und harrt einer Restauration.
Gastgeberpaar
Das Gastgeberpaar Juillerat-Gurtner
Mich persönlich freut es, dass die jungen Wirtsleute das Orchestrion als ein Andenken mit Familientradition behalten und schätzen, auch wenn es ihnen sicher manchmal „in den Weg kommt“. Liebe Mitglieder schauen sie doch einmal vorbei, man isst sehr gut, wird freundlich bedient und eine Reise durch diesen schönen Jurateil lohnt sich bei jeder Jahreszeit. Ruhetag Dienstag und Mittwoch. Im Sommer fährt auch eine Dampfbahn auf dieser Strecke.
                               Dezember 2012, Hans Kunz.